Magyar Könyvszemle   118. évf. 2002. 1.szám   Vissza a tartalomjegyzékhez

KÖZLEMÉNYEK

Friedensbegriff um 1300 in Ungarn. Von “tranquillitas regni” zu “pulchritudo pacis”. Wie von den Forschern angenommen, kam die Friedenserhaltung nach den als Vorbild betrachteten deutschen und englischen Krönungsordines aus dem 10. und 11. Jh. auch in der Eidesformel der ungarischen Krönungszeremonie vor. Anhand des Vorkommens des Begriffs pax im Kapitel 4. seiner Ermahnungen an seinen Sohn Prinz Emmerich wurde früher König Stephan selbst “Friedenskönig” genannt. Dieser Friede jedoch, der im oben genannten Königsspiegel Erwähnung findet, ist literarischen Ursprungs, dessen Wurzeln sich im Alten Testament, bei Augustinus sowie den Klassikern der Karolingerzeit wie z. B. Sedulius Scottus nachweisen lassen. Dieser pax diente als theologische, philosophische Grundlage zu den Kämpfen um die Gründung der neuen, selbständigen christlichen Staaten. Im Ergebnis dessen kann die “tranquillitas”, die von Gott vorhergesehene ideale Ruhe der geschöpften Welt wiederhergestellt werden. Die Realisierung des christlichen Liebesgebotes wurde zum politischen Programm, das auf dem Gehorsam gegenüber dem christlichen Gebot der Gottesliebe beruhte. Interessanter Weise sollte der Ausdruck “tranquillitas pacis” zum ersten Mal in den Stephans-Legenden vorkommen, die um die Zeit der Kanonisation des ersten ungarischen Königs entstanden. Das Auftauchen dieses Ausdrucks ist ein guter Beweis für die geistige Erneuerung des Landes unter der Regierung von Ladislaus dem Heiligen und König Koloman, nicht zufällig wird der tranquillitas-Begriff von einem Chronisten der Anjou-Zeit noch einmal wiederholt. Obwohl er sowohl in den erzählenden Quellen als auch in den Urkunden häufig auftaucht, erhielt der Begriff “pax” kein charakteristisches Attribut oder Beiwort. Selbstverständlich regieren die Könige “pacifice”, was nur gelegentlich um Ausdrücke wie “feliciter” oder “potenter” ergänzt wird. Das geschah gerade um 1200, unter der Regierung des Königs Béla III., als erneut ein von Kriegen und Zwistigkeiten geprägte Epoche ihren Abschluß fand und bereits von den Zeitgenossen als Auftakt zu einer neuen Ära empfunden wurde. Es ist jedoch charakteristisch für die ungarischen Verhältnisse, daß die Friedenserhaltung vom König gerade in der zweiten Hälfte des 13. Jh. immer entschlossener verlangt wird. Die ersten Quellen ähnlichen Inhalts stammen ebenfalls aus der Regierungszeit der letzten Könige des 13. Jh., Ladislaus IV und Andreas III.

In der politischen Krise der zweiten Hälfte des 13. Jh. wurde die ältere, vor allem theologische und literarische Deutung des Begriffs pax um für die Zeitgenossen selbstverständliche praktische Aufgaben der aktuellen Politik erweitert: die Macht des Königs zu bewahren, die immer stärkere Macht der Oligarchen zu brechen. Unter der Herrschaft des Königs Ladislaus IV. wurde der Frieden in Ungarn noch von einem weiteren, spezifischen Moment gefährdet: von der Ansiedlung heidnischen Kumanen nach dem Mongoleneinfall von 1241–42 in die bereits stabilisierte christliche ungarische Gesellschaft, die sich nach anderen rechtlichen Normen richtete. Der König betrachtete die Kumanen nicht nur als Stützen der königlichen Macht sondern fühlte sich zu ihnen besonders hingezogen, was in den Augen der Zeitgenossen als skandalös galt. Es galt vor allem als Aufgabe [39 der hohen Geistlichen, dafür zu sorgen, daß der König dieser seinen Pflicht der Friedenserhaltung tatsächlich auch nachkam. Im Mai 1277 wurde Ladislaus IV von Landtag für mündig erklärt und zum ersten Mal der Wunsch formuliert: diejenigen, die den Frieden im Lande bedrohen, sollten von König bestraft werden, d.h. die Kumanen sollten die bereits klaren Eigentumsverhältnisse ungestört lassen.

Als sich König Ladislaus im Jahre 1288 vorübergehend mit Lodomér, Erzbischof von Gran (Esztergom) versöhnte, wurde die Weise, wie der Frieden im Lande wiederhergestellt werden sollte, noch eindeutiger: der König durfte sich mit den Mongolen nicht verbünden, er sollte von den Kumanen eine christliche Lebensführung verlangen und die Privilegien der Kirche berücksichtigen. Inzwischen mischte sich Albert I., Herzog von Österreich und der Steiermark, in die inneren Zwistigkeiten Westungarns ein und eroberte ungarische Gebiete bei Preßburg sowie seine Umgebung. Demzufolge mußte Andreas III anläßlich der Wiederherstellung des Friedens nach der Ermordung König Ladislaus des IV. von seinen eigenen kumanischen Anhängern im Jahre 1290 nicht nur auf Treue zur Kirche schwören, sondern auch versprechen, die von Fremden besetzten Gebiete zurückzuerobern. In seiner Österreichischen Reimchronik (Zeilen 41240–291) berichtete Ottakar, daß Andreas als Verteidiger des Friedens und der Ruhe gegen die Räuber und Brandstifter in seinem Land feindlich aufzutreten und die Witwen und Waisen zu beschützen habe. Der Desintegrationsprozess des ungarischen Staates unter der Herrschaft von Andreas wurde auch dadurch beschleunigt, daß mit Ladislaus Tod die Dynastie in gerader Linie ausgestorben war und vom Papst anstelle Andreas das Haus Anjou aus Neapel, namentlich Karl Robert als Thronfolger anerkannt wurde. Paradoxerweise hielt der ungarische hohe Klerus fast bis ans Ende zu Andreas und der König hatte es der juristischen Bildung und den organisatorischen Fähigkeiten der hohen Kleriker zu verdanken, daß auf seiner Seite ein Bündnis gegen die Oligarchen der Stände zustandekam. Unter diesen Umständen galt der Frieden bereits als Voraussetzung des Fortbestehens des Staates. Die oben skizzierten politischen Ereignisse widerspiegeln sich in den Urkunden, vor allem in denen, die am Hofe ausgestellt wurden. Die reformatio pacis wurde zum Bestandteil der höfischen Propaganda, ihre Notwendigkeit wurde aber in dem an den Rand der Anarchie getriebenen Land wahrscheinlich von vielen eingesehen. Die Gemahlin des Königs Andreas, Königin Fenenna, erwähnt in einer 1291 ausgestellten Urkunde den sehnlichst erwünschten Frieden: “nos et regnum nostrum post longarum et immensarum tribulacionum et inquietissimas tempestates optati pacis letamur diu desiderata quiete potiri”.

Etwa zu dieser Zeit trat die Wende ein, daß der bereits früher in den Vordergrund getretene Augustinische Gedanke der jenseitigen Erfüllung des Friedens erneut und unwiderruflich in den Hintergrund gedrängt wurde, und die materiellen Bezüge des Friedensgedankens verstärkt betont und auch sprachlich formuliert wurden. Zu jener Zeit erschien in den Urkunden erstmals der ausgesprochene Wunsch nach dem Frieden, um dann in den darauffolgenden Jahrhunderten immer wieder aufzutauchen. Zur üblichen stilaren Formel dieses Wunsches wurde die Erwähnung des pulchritudo pacis biblischen Ursprungs, aus Isaiae 32, 18. In der ungarländischen Latinität erschien dieser Ausdruck erstmals 1256, als Hinweis auf den Wiederaufbau nach dem damals noch so nahen Mongoleneinfall in den Jahren 1241/42: ecclesiam confovendo pulchritudine pacis revereri. Diese Wendung mag aus den Bibelkommentaren, aus den auch in Ungarn auffindbaren Werken des Haymo von Halberstadt oder des Walafrid Strabo oder gar aus den Gebeten liturgischer Bücher schon immer bekannt gewesen sein. Noch unter der Herrschaft des Königs Béla IV tauchte der Wunsch nach der Wiederherstellung des Friedens erneut auf, diesmal jedoch unter dem Druck der drohenden inneren Unruhe (1267/70):” regnum ad statum quietis et tranquillitatis reducere”.

Unter der Herrschaft Ladislaus IV. erschien dieser Ausdruck in den Urkunden im Jahre 1283 wieder, wie “ut glorietur pulchritudo pacis”, wie er in den Jahren nach 1270 auch in den benachbarten Ländern im aktuellen politischen Kontext, in der Korrespondenz Rudolfs I. ebenfalls auftaucht. Man könnte eventuell sagen, es handelte sich diesmal um einen Zufall, könnte man nicht [40 auch unter der Herrschaft der neuen Dynastie der Anjous öfters auf diesen Ausdruck stoßen. Da kann es sich nicht mehr um Zufälle handeln, die Anjous achteten nämlich peinlich darauf, sich in jeder Hinsicht als legitime und würdige Nachfolger der Arpaden zu zeigen. Auch was die Terminologie ihrer Urkunden anbelangt, gingen sie so vor, und auch ansonsten betrachteten sie sich nach dem Tod des letzten Herrschers aus dem Arpadenhaus, Andreas III, mit Recht als die Verwirklicher der reformatio pacis. So findet sich in einer königlichen Urkunde im Zusammenhang mit der Stadt Ödenburg (Sopron) der Ausdruck pulchritudo pacis et quietis im Jahre 1317. Anläßlich einer vereitelten Konspiration im Jahre 1330 können die Anjous nicht genügend betonen, daß sich auch Ungarn derzeit “der fruchtbaren Schönheit des heiß ersehnten Friedens und der Ruhe erfreuen kann.” Weitere Vorkommen des Begriffs sind uns aus den Jahren 1342 und 1350 bekannt.

Schließlich fand dieser Ausdruck auch im programmatischen historiographischen Werk der fünfziger Jahre des 14. Jh., im Vorwort zur sog. Wiener Bilderchronik Verwendung, gleichsam zur Charakterisierung der Leistung der neuen Dynastie: Nach Niederschlagung aller Tyrannen, d.h. der Oligarchen sicherten die Könige von Ungarn “populos Hungarie in pulchritudine pacis et requie opulenta sedere”.

Zusammenfassend könnte man sagen, daß der früher eher abstraktere Begriff pax im ausgehenden 13. bzw. angehenden 14. Jh. eine Bedeutungserweiterung erfuhr, und mit den Begriffen potentia und securitas verbunden wurde (zum ersten Mal im Jahre 1219). In den königlichen Urkunden sowie in den Krönungseidsformeln gewann er eine immer konkretere Bedeutung. Er näherte sich immer mehr den Idealen integritas regni, libertas ecclesiae et nobilum und wurde schließlich zu einem charakteristischen Propagandaslogan einer neuen Dynastie.

Seit Tacitus ist uns bekannt, daß der Ausdruck Friede von jeder Generation neu gedeutet wird, und was für die Väter noch als “alma” und “felix” galt, kann für die Söhne bereits “saeva” oder “letifera” werden. Die Geschichte ist reich an solchen Wenden, es reicht z. B., an das Ungarn vor der türkischen Eroberung zu denken, das vor einem schweren historischen Entschluß stand. Aber auch heutzutage wird das zutreffende Attribut zum Begriff Friede gesucht, obwohl wir wissen, daß wir keinen Friedensbegriff, sondern den Frieden selbst brauchen.

Literatur

Dieser Vortrag wurde im Rahmen der festlichen Tagung anläßlich des 70. Geburtstages von Prof. Dr. András Vizkelety vorgelesen (3.11.2001). An dieser Stelle möchte ich meinen Dank aussprechen, den vollständigen Katalog des Forschungsgruppe für das ungarische Mittellateinischen Wörterbuch mit freundlicher Genehmigung von Dr. Kornél Szovák benutzt haben zu können. Auch die CD-Roms des Patrologia Latina Database (Ed. Chadwyck-Healey) und der Cetedoc Library of Christian latin Texts (Ed. Brepols) waren für die Entstehung vorliegender Arbeit von großem Nutzen. Bezüglich der ungarischen erzählenden Quellen habe ich die maßgebende Edition der Scriptores rerum Hungaricarum (Hg. v. Imre Szentpétery, Bde. 1–2 Bp. 1937–1938) benutzt. Zum ersten Mal wurde meine Aufmerksamkeit auf dieses Thema von der Konferenz (Reichenau-Tagung) des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte im Jahre 1991 Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter (vgl. Vorträge und Forschungen Bd. 43, Sigmaringen, 1996) gelenkt. Weitere Literatur: Balogh József: Szent István király, a békefejedelem (König Hl. Stephan, der Friedenskönig). = Magyar Nyelv (23.) 1927. S. 452–461.; Borzsák István: Pax Tacitea. In: Dragma. Bd. 1. Bp. 1994. S. 203–214. (erste Mal in Antik Tanulmányok (13.) 1966. S. 27–39.)

Veszprémy, László[41